Ich habe mir länger überlegt, ob und wie ich darüber erzählen soll (frau will ja niemanden schocken): Die Entromantisierung der heilen Wendywelt, aka Reitunfall mit Knochenbruch. Der Klassiker. Ich hätte mir ja diverse Szenarien vorstellen können, wie es dazu kommt, dass ich mit einem Knochenbruch vom Stall heimkomme. Aber nicht dieses. Dieses zuallerletzt. Immerhin sass ich nicht mal auf nem Pferd – flog also auch nicht runter.

Aber es ist passiert: Am 10. April hatte ich meinen ultimativen Reitunfall (ich hoffe, es bleibt der einzige!) – mit Knochenbruch. Dabei wäre ein Knochenbruch eigentlich viel wahrscheinlicher schon zwei Tage zuvor passiert.

Da hatte ich die glorreiche Idee, mich meinem Schuhwerk zuliebe von Bonita ohne Sattel und Trense durch den kleinen Fluss tragen zu lassen. Wohl wissend, dass ich das Gleichgewicht verliere, wenn Bonita schneller als Schritt geht. – Kein Pessimismus übrigens, reiner Erfahrungswert!  😉

Und es kam natürlich, wie es kommen musste: Bonita wollte Major erst nicht sofort ins Wasser folgen, hatte dann aber die Idee, ihn unbedingt mit einem riesigen Satz ans Ufer überholen zu müssen. Den Rest kann man sich denken. Ein riesen Abflug in den einzigen Quadratmeter mit Matsch (zum Glück).
Ausser einer Schürfung im Gesicht, einem grossflächig aufgeschürften Handrücken und einer mörderischen Prellung/Stauchung meines rechten Ellbogens und Schulterbereichs ist nichts passiert. Also Dreck abwischen, Krone richten und kleinlaut heimhumpeln. Das kommt vor.  🙂

Nachdem ich mir am nächsten Tag pferdefrei gegönnt hatte – was sinnvoll war, denn mein rechter Arm war absolut nicht zu gebrauchen, nicht mal heben konnte ich ihn – besuchte ich Bonita am Abend des 10. April wieder, um sie wenigstens zu betüddeln und ein wenig zu putzen, das geht ja auch mit einer Hand.

Während Patric schon auf dem Viereck mit Major arbeitete, putzte ich in der einbrechenden Dunkelheit noch ein wenig an Bonita rum und machte mir Gedanken über eine Sehne am Vorderbein, welche nicht so ganz wie immer war – oder doch?

Was dann genau passiert ist, lässt sich nur mutmassen.

Patric sah mein Pferd angebunden bocken und mich auf allen Vieren von ihr wegkriechen.

Ich erinnere mich, wie ich in der Dunkelheit auf dem Sims vor den Boxen sass, Patric mit der medizinischen Notfallnummer unserer Versicherung telefonierte und sich ziemlich missverstanden fühlte. Er erzählte denen, dass ich einen Arzt brauche und am Kopf blute. Ich sass nur da und mir war alles eigenartig egal.

Da die Ambulanz über 1,5 Stunden gebraucht hätte, um hierher zu fahren, hat mich Patric schliesslich selber in die Notaufnahme des Spitals in Ronda gebracht. Zuerst sind wir gestrandet, weil er zum alten Spital gefahren ist, da, wo er selber ja vor wenigen Wochen noch wegen der Rauchvergiftung behandelt worden war. Alle Türen verschlossen, die Lichter waren aus. Inzwischen war das neue Spital in Betrieb, und dahin kam ich nun also.

Ich erinnere mich an einen Rollstuhl, in dem ich umhergefahren wurde – zum ersten Mal in meinem Leben. Aber es fühlte sich gar nicht aussergewöhnlich an. Es war einfach so. Ganz selbstverständlich, in meiner seltsam neutralen Welt.

Sie haben mich am ganzen Oberkörper geröngt, ein CT gemacht, gewaschen, Wunden desinfiziert… und dann kam ich in den Überwachungsraum. Ausser einem Bruch am Jochbein, zwei Schürfungen im Gesicht, einem kleinen, aber heimtückisch schmerzenden Loch in meinem rechten(!) Arm und einer filmreifen Beule am Kopf wurden keine weiteren Schäden gefunden.

Da hab ich langsam geschnallt, dass ich im Spital bin, glaub ich. Respektive der eine Teil meines Ichs.
Der andere Teil hat das natürlich voll mitbekommen und fand es auch noch urkomisch, mit Wanderschuhen im Krankenhausbett zu liegen. Armer Patric. Mein waches Ich muss ihm ganz schön Angst gemacht haben. Nur 4 Sätze – und dies in Endlosschlaufe (einer davon die Frage, was eigentlich passiert sei). Auweia.

Reitunfall Spital
Wer träumt nach einem langen Tag nicht heimlich davon, sich einfach in Reitklamotten ins Bett fallen zu lassen?

Mein anderes (eigentliches) Ich hat viel geschlafen. Und stundenlang die Ventilatorschlitze an der Decke studiert. Die haben mich bis in den Traum verfolgt – noch tagelang. Dass das Muster scheinbar asymmetrisch ist, hat mich sehr beschäftigt.  🙂

Irgendwann gab es Mittagessen. Ein herrlicher Duft machte sich im Raum breit, und meine beiden Ichs freuten sich sehr darüber. Doch das Essen wurde – ähnlich wie im Flieger – einfach an mir vorbeigeschoben… Die beiden Ichs waren entrüstet, behielten es aber für sich.

Patric kam mehrfach zu Besuch und hatte die Ehre, sich mit meinem anderen Ich zu unterhalten; welches immer noch ziemlich repetitiv unterwegs war. Dieses Ich beauftragte ihn, mir iPod, Handy und Bücher mitzubringen. Sehr wichtig, denn im Spital muss man sich ja die Zeit vertreiben. De facto hab ich die meiste Zeit geschlafen, weil ich hundemüde war. Oder gedöst und derweil dem Geschehen im Überwachungsraum gelauscht.

Anscheinend war ich auch sehr erstaunt, als mir Patric von unserem Kaminbrand erzählt hat!
Echt nicht zu beneiden, der arme Mann.

Wochen später fand ich auf meinem Handy ein Selfie von mir im Krankenbett. Wie peinlich. Ich wusste bis zu dem Zeitpunkt nicht mal, dass mein eines Ich dieses (ein wenig sensationsgeil, wie ich finde) geschossen hatte.

Am Abend gabs wieder Essen. Und diesmal wurden meine beiden Ichs (welche sich langsam aber sicher wieder zu einem zu vereinen begannen) nicht enttäuscht. Es duftete soooo lecker nach – keine Ahnung was, aber lecker! – und ich freute mich so! Doch dann sah ich es: auf meinem Tablett stand nicht der lecker duftende Teller mit Gemüse und Kartoffelstock, auf welchen ich mich aus unerfindlichen Gründen so gefreut hatte, sondern ein Becher mit Suppe. Sowie eines dieser südländischen, synthetisch schmeckenden Joghurts (uäk). Und über allem prangte ein Zettel mit nur einem handgeschriebenen Wort: «Liquido». Obwohl es in meinem Spanisch-Sprachkurs noch kein einziges Mal vorgekommen war, verstand ich sofort, was das bedeutet. OMG. Irgendwas an meinem Maul war kaputt, und zwar ziemlich. Ich traute mich kaum noch, meinen Mund zum Essen aufzumachen, aber es ging und tat auch nicht weh. Also Suppe gelöffelt. Sie war sogar lecker!

Dann kam Patric, und meine Entlassung wurde in die Wege geleitet. Meine beiden Ichs freuten sich riesig und ich wollte sofort aus dem Bett springen und raus ins Auto. Doch es dauerte…
Patric musste eine riesige Instruktion und eine noch grössere Einkaufsliste für die Apotheke mitnehmen, bevor es endlich losgehen konnte. An den Ausgang wurde ich wieder mit dem Rollstuhl gefahren. War mir fast etwas peinlich. Ich war ja nicht krank. Jedenfalls nicht so sehr.

Nach einem Grosseinkauf in der 24-Stunden-Apotheke gings endlich nach Hause. Die Nacht im eigenen Bett war semi-gemütlich. Auf die linke Seite durfte ich mich nicht drehen, weil es sonst den Bruch eingedrückt hätte. Auf die rechte konnte ich nicht, weil diese noch immer höllisch schmerzte von dem Abflug am Fluss. Also blieb nur die starre Rückenlage, und nach einigen Stunden taten mir auch noch meine gesunden Körperteile weh. Dies änderte sich auch nicht für die kommenden paar Wochen. Ich hab nun ne Idee davon, was Schmerzen sind. Ich war fast froh, als es Morgen wurde.

Reitunfall Knochenbruch Martina
Dieses hübsche Veilchen begleitete mich noch einige Wochen lang…

Aber das machte nichts, denn am nächsten Tag mussten wir früh los, in eine Spezialklinik (Maxilofacial) nach Málaga. Die Mediziner waren sich nicht sicher, ob der Bruch am Jochbein operiert werden muss. Meine beiden Ichs waren immer noch leicht nebeneinander, und vor allem war ich hundemüde. Von dem Ausflug ins Maxilofacial Málaga ist mir eigentlich nur eins geblieben: der Blick aufs Röntgenbild und den Schaden. Bis dahin hatte ich mir darüber gar keine grossen Gedanken gemacht. Ich ging einfach davon aus, dass es einen Riss hat in dem Knochen da… Es fühlte sich auch nicht besonders schmerzhaft oder schrecklich an. Eher unheimlich, und nur, wenn man es berührte.

Das Röntgenbild sprach dann Klartext: Ein Stück meines Jochbeins war eingedrückt! Es war an zwei Stellen gebrochen, und der mittlere Teil einfach ein Stück zurückversetzt. Bei dem Anblick schluckte Frau erstmal leer – Mann übrigens auch, wie ich später erfuhr. Dies und das Zauberwort «liquido» im Spital Ronda machten es klar, ich war definitiv leicht lädiert.

Reitunfall Roentgen
Im Kreis der Bruch. Man ignoriere bitte die verdächtige Leere im unteren Teil des Bildes…  🙂

Also besorgte mir Patric einen Jahresvorrat an Flüssignahrung. Er ist wirklich goldig! An alles hat er gedacht: fleischlose Suppe, meinen Lieblingsjoghurt, viel Kartoffelstock, Milchreis, Suppenteigwaren, etc.

Weil die Verletzung noch geschwollen war, konnten die Spezialisten in Málaga nicht sagen, ob eine Operation notwendig war oder nicht. Darum sollten wir in einer Woche wiederkommen.

Weil unsere Krankenversicherung nur die Behandlung in Privatkliniken finanziert, mussten wir nochmals die Klinik wechseln und wurden dann in der folgenden Woche in der Maxilofacial der Vithas Xanit Benalmádena vorstellig. Eigentlich ging es ja nur darum, einen Gesichtsspezialisten zu sprechen und abzuklären, ob und wann ich operieren muss. Doch dieses Gespräch mussten wir uns hart verdienen.

Erst bekommt man in der Notaufnahme eine Nummer und landet in einer Warteschlaufe vor einem Bildschirm, ähnlich wie auf der Post. Dann gehts zur Triage, wo man sein Anliegen schildert und dann richtig ins System eingeschleust wird. Das Warten vor dem Bildschirm dauert schnell mal Stunden und wird zur Zerreissprobe, weil man ja keine Ahnung hat, wie lange es dauern könnte und entsprechend seinen Platz im Warteraum nicht mal für einen Imbiss (oder in meinem Fall was zu Trinken) in der Cafeteria verlassen kann. Zum Zeitvertrieb begannen wir die anderen Patienten zu beobachten und spielten Rätselraten über deren Lebens- und Verletzungsumstände. Manchen gaben wir Spitznamen (no worries – keine bösen), damit wir den Überblick behalten konnten. Im Laufe des Tages wurden uns einzelne fast etwas vertraut.  🙂

Nach Stunden des Wartens durfte ich Señor Maxilofacial kennenlernen. Endlich.
Sein Behandlungsraum war etwa so sympathisch wie der Mann selber: im Keller der Klinik ein klaustrophobisch-winziger Raum, welcher mit dem Computer des Arztes, dessen Hocker und einem klassischen Zahnarzt-Behandlungsstuhl fast komplett ausgefüllt war. Da hinein quetschten sich neben meinen beiden noch immer leicht separierten Ichs noch der Arzt, Patric und eine Dolmetscherin.

Ich weiss nicht, ob er einen schlechten Tag hatte – vielleicht waren ihm auch meine beiden Ichs nicht sympathisch – aber der Typ war ja mies drauf. Genau die Sorte Mensch, die man nach stundenlangem Rumsitzen vor dem Screen im Warteraum noch braucht! Er sagte, ich soll mal meinen Mund aufmachen, und ich machte vorsichtig «aah». Da fragte er, ob das nicht weiter aufgehe und stopfte mir einfach seine Faust ins Maul. Toller Moment! Mindestens 2 Personen (respektive 3 Ichs) im Raum waren leicht geschockt.

Dann meinte der Arzt, dass er bessere Röntgenbilder brauche und schickte mich für neue CT-Aufnahmen wieder in die Warteschlaufe der Notaufnahme.

Da muss irgendwas schiefgelaufen sein, denn ich bekam ein neues Armband und eine neue Nummer, die eine Ewigkeit nicht auf dem Screen auftauchte. Beim genaueren Nachfragen gegen Feierabend wurde dieses dann wieder entfernt, und nach einer neuen gefühlten Ewigkeit durften wir ein weiteres Mal in der Triage vorsprechen, obwohl ja eigentlich schon klar war, dass wir ins Röntgen müssen…

Der dortige Arzt war erst noch abwesend, aber auf den letzten Drücker vor Feierabend haben wir es doch noch geschafft, und ich «durfte» in den Computertomograpen. Und dann nochmals zu Meister Grimmig. Dieses Mal war er sogar nett. Er stellte fest, dass es immer noch zu sehr geschwollen ist, um einen OP-Entscheid zu fällen und bat uns, in zwei Wochen wiederzukommen.

Nachdem er mein Maul zuvor so aufgesperrt hatte, fragte ich doch vorsichtig nach, ob ich weiterhin Flüssignahrung zu mir nehmen müsste?
Er schaute mich leicht verwundert an und sagte, nein, warum. Solange ich keine Beschwerden hätte, könne ich normal essen!

Der Tag war lang und wir hatten was zu feiern. Also haben wir einen alten Task eingelöst und sind im Hard Rock Cafe Marbella einen monströsen Burger schlemmen gegangen. Ich schwöre: Mein bester Burger ever!

Reitunfall Hard Rock Cafe

Beim nächsten Besuch im Maxilofacial befand er meinen Bruch als nicht sooo schlimm und meinte, wir warten ab mit operieren; wenn ich keine Beschwerden hätte, können wir es gut so abheilen lassen. Abgesehen von einer winzigen Verschiebung an meinem Gesicht (welche auch nur er, der Profi, erkennen kann) sei nichts sichtbar und es gäbe keinen Grund zur Operation – ausser ich wollte dies unbedingt. Will ich nicht.   🙂

Nach zwei Monaten kam auch mein traumatisierter rechter Arm langsam zurück zu seiner alten Form und die letzten Narben im Gesicht wurden weniger. Auch mein stattliches Veilchen am Auge verschwand. Nur das kleine Loch am Arm, das mag noch heute keinen Druck ertragen. Aber damit kann ich leben.

Mittlerweile scheint Mr. Maxilofacial meine beiden wiedervereinten Ichs zu mögen, denn wir müssen alle paar Wochen mal antreten und ihn sich überzeugen lassen, dass die Heilung wunschgemäss voranschreitet.

Letztes Mal fragte ich ihn, ob ich wieder reiten darf. Seine Antwort: «Spielen Sie Polo?»
Als ich ihm – einen Lachkrampf unterdrückend – sagte, dass ich nur ausreite, meinte er, das sei okay. Einfach nicht runterfallen.
Klar doch!

Was mich noch wochenlang beschäftigt hatte, war die Frage, was an dem Abend des Unfalls eigentlich passiert war. Eine definitive Antwort darauf werde ich wohl nie bekommen. Aber es deutet einiges darauf hin, dass Bonita sich der Hirschlausfliegen an ihrem Hinterteil erwehren wollte. Die Tierchen sind echt eine Plage, und sie bringen Bonita – verständlicherweise – um den Verstand. Wenn es um diese Insekten geht, versteht sie keinen Spass und schlägt wild um sich.

Vermutlich hat mich so ein Tritt am Jochbein getroffen, als ich die Sehne untersuchte. Danach bin ich wahrscheinlich hingefallen und hab mir dabei die grosse Beule auf der anderen Seite des Kopfes geholt. Weiter um sich tretend hat mich Bonita anscheinend noch am Arm gestreift, da ist weiter nichts passiert, ausser dem kleinen Loch an der Vene, welches mörderisch schmerzt und doch eigentlich harmlos ausschaut.

Auf den ersten Blick ist der Vorfall schockierend, und ich brauchte einige Wochen, bis ich wieder normal an einem Pferdehinterteil vorbeigehen konnte. Andererseits denke ich, hat Bonita trotz allem auf mich aufgepasst, als ich da einen Moment lang vermutlich ohnmächtig am Boden zwischen ihren fliegenden Hufen lag…

Es war einfach Pech. Und es hätte auf jeden Fall auch viel schlimmer kommen können!
Ist es aber nicht.  🙂

Und:
Ja, natürlich liebe ich mein Pferd immer noch genauso wie vorher – wenn nicht noch mehr!
(das werde ich tatsächlich immer mal gefragt 😉 )

 

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